Tipps fürs präsente Predigen

 

Liebe Kollegin, lieber Kollege, liebe Predigende,

Predigen ist für viele ein Grund den Pfarrberuf zu lernen oder sich als PrädikantIn ausbilden zu lassen.

Ich gehöre zu denen, die Predigen unterrichten. Ich erlebe Studierende bei ihren ersten Schritten auf die Kanzel, VikarInnen mit theologisch vollem Ranzen und hellem Eifer, müde und wache RednerInnen in den mittleren Amtsjahren, Pensionäre, altersweise oder abgestanden.

Viele fragen in letzter Zeit nach Alternativen zur Predigt als Monolog. Wer dauernd reden muss, dem wird das Wort manchmal schal. Andere fragen nach einer Schule fürs freie Reden. Wer kein oder nur wenig Papier braucht, kann sich Menschen zuwenden.

Die Ästhetik, dh die Vorführungs-Seite der geistlichen Rede ist mehr in den Vordergrund gerückt. So wie sich im Moment alles inszeniert, so auch dies Genus. Das war überfällig, aber es verführt zu allerlei Schauläufen und Effekthascherei. Keine Rede-Form entgeht der Frage nach wahrem und ergreifendem Sprechen.

Ich habe Respekt vor allen, die sich Woche für Woche mühen um Redlichkeit im Wort. Weil ich gleichzeitig erlebe, wie junge und alte Profis verschlissen werden.

Wäre ich König von Deutschland, ich würde ein einjähriges Predigt-Fasten anregen. Ein Jahr lang Stille von deutschen Kanzeln. Keiner, der bisher damit beauftragt war, sagt mehr etwas. Die Rufe, die dann kommen, die werden belauscht. Vielleicht vermisst auch niemand etwas. Niemand ruft. Oder jemand steht auf und weiß etwas – ohne dazu beauftragt zu sein. Man hätte sie oder ihn nie vernommen ohne die Stille. Vielleicht ist diese andere Stimme längst unter uns, sitzt in fusionierten Kirchen, wartet auf ihre Lücke.

Opulente Predigtlehren werden Jahr für Jahr vom Wissenschaftsbetrieb ausgestoßen. Sie setzen im Labor Leuten große Rosinen in den Kopf und entlassen sie in Gottesdienste mit 40-70 oder 4-7 Menschen, Konfis, Alten und Unermüdlichen, die von uns konkret und einfach angesprochen werden wollen. Es gibt die bürgerlichen Gemeinden, deren Köpfe geistlich unterhalten sein möchten, aber viel Kärrnerarbeit geschieht im Einfachsten. Dafür sind wir nicht ausgebildet.
‚Einfach’ ist in der Theologie immer des Flachsinns verdächtig. Es muss schon komplex sein, vollständig, richtig und vor allem bedeutsam. Dass auch das Komplexe am Ende wieder einfach sagbar ist, das erschließt sich manchmal erst nach 20 Jahren Praxis.

Manchmal wünsche ich mir schon für die Ausbildung eine Theologie im SMS-Format, die Witz und Tiefe hat (‚Wichtiger als dass du an Gott glaubst ist, dass er an dich glaubt.’ –  66 Zeichen). Die am Gartenzaun besteht und in der Kirche (‚Was, wenn du vom Paradies träumst und du wachst auf mit einer Blume in der Hand?’). Eine geistliche Konfektschachtel mit den wichtigsten und lebenstauglichen Weisheiten (‚Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.’).

Bischöfe und Superintendentinnen könnten ihre Konvente dazu anleiten, miteinander dialogisch Predigten vorzubereiten – also nicht nur Pflicht-Exegese und Gähnen. Modelle dafür gibt es: http://gottesdienstinstitut-nordkirche.de/dialogische-predigtvorbereitung/ . Die Einsamkeit mancher KollegInnen mit der Predigt ist groß.

 

Nun zum Lebenspraktischen

Wenn ich mir als Hörer von Dir, Kollege, Kollegin, etwas wünschen dürfte für die konkrete Predigt, dann wären es die folgenden Punkte. Ich schreibe aus der konkreten Unterrichtserfahrung und nenne eine Reihe von Regeln, die sich uns dort erschlossen haben.
Achtung: Diese Hinweise sind nicht alle auf einmal verdaulich! Man kann immer nur das schlucken, was einem grade einleuchtet. Die Menge ist ein Resultat aus Jahren. Die meisten Regeln wollen eigentlich entlasten, indem sie konzentrieren auf das wirklich Nötige und die Beziehung. Auch die zu Gott. Der spielt ja mit.

Die äußere Form und die Organisation Deines Sprechens

  1. Sprich normal
    Bitte Deinen Freund Dich daraufhin abzuhören, ob Du auf der Kanzel und im Gottesdienst einen grundsätzlich anderen Ton anschlägst als sonst im Gespräch. Wenn ja, dann ist das ein Indiz dafür, dass Du in einer Maske agierst, von der Du nichts weißt. Bewusste Masken sind ein ernstzunehmendes Hilfsmittel, unbewusste sind meist eine Karikatur. Man denkt dann: „Den kenn ich doch! Eigentlich ist der ganz nett und normal, aber da vorn so geschwollen wie Ottos Karikatur.“
    Du kannst anders sprechen als im normalen Leben, weil es um die Dinge hinter dem Allzunormalen geht. Aber dann ist Deine Rede in natürlicher Weise gehoben – von den Inhalten.
    Manche versuchen, künstlich Bedeutung zu schaffen durch ‚extra gehobene Rede’ oder lange Pausen mitten im Satz. Das ist schlechtes Theater und nützt weder Dir noch der Gemeinde. Der starke Inhalt schafft sich seinen starken Ausdruck und nicht der Ausdruck den Inhalt.
  2. Falsche Pausen
    Das so genannte ‚pastorale Sprechen’ macht zu viele Pausen, die der Sprache Bedeutung verleihen sollen. Die Rednerin braucht sie für sich um weiterzudenken.  Und sie sucht auf schlechtem Weg Gravität und – Schutz vor der Meute durch einen Schwergewichts-Ton.
    Dabei müsste sie nur normal flüssig reden und ihre Sache heiter ernst nehmen –  bedeutungsschwangere Umgebung hat sie ja ohne Ende. Die muss sie nicht toppen (schon gar nicht bei Bestattungen).Die Pausen sitzen oft mitten im Satz, wo sie nicht hingehören. „Wenn wir  -Pause-  wieder und wieder -Pause-  bedenken, das Gott uns –Pause- …“  Warum solche Pausen mitten im Halbsatz? Das macht die Rede schwerfällig und künstlich bedeutungsvoll. Sprich in langen Atembögen: pro Sinneinheit (Satz, Halbsatz) ein Atemzug.  Ein Wort im Sinnabschnitt ist Dein Zielpunkt, auf den Du hinsprichst.
    Danach kannst Du eine Pause machen, aber nicht mittendrin. Wenn Du einen Halbsatz oder den ganzen Satz vorher weißt und als ganzen greifst, musst Du nicht mitten im Satz Denk-Pausen einlegen.
    Eine einzige Live-Aufnahme Deiner Predigt bringt Dir Aufschluss, ob du zum ‚Club der schwermütigen Pause’ gehörst. Leider gehören geschätzt 70% der Zunft dazu.

    Wenn Du dies liest und Dich ertappst, dann übe konkret das fliessende Sprechen.  Du hörst es am besten bei Radio-SprecherInnen. Das gehört zum Hand- bzw. Mundwerk. Und das gewöhnt man sich leider nicht durch Darüber-Lesen ab, sondern nur durch relativ hartes Sprech-Training.
    Ich freue mich auf Deinen Redefluß.

  3. Hauptsätze
    Ein Satz mit mehr als einem Nebensatz ist Schriftsprache und verleitet zur Vorlesung. Bilde Hauptsätze. Gelegentlich dazu einen Nebensatz. Vielleicht denkst Du: ‚dafür habe ich nicht studiert’. Es gibt auch eine Kunst der klaren, griffigen Sprache. Die kommt mehr aus dem Sprechen als aus dem Schreiben. Es hilft, wenn Du in der Vorbereitung den oder die wesentlichen Gedanken laut sprichst. Dann merkst Du, wie lang Deine Sätze sind. Wenn Du einen Satz nicht auf einem Atem sprechen kannst, ist er zu lang und für die Menschheit verloren.
    Deine Rede ist fürs HÖREN angelegt, nicht fürs Lesen. Die Hörenden haben nur eine Chance zu verstehen, und die ist JETZT.
  4. Verben statt Substantive
    Viele Substantive der theologischen Sprache erinnern an eine Behörde, nicht ans Leben. So viele Verben wie Substantive –  das belebt (‚kirchendeutsch’ ausgedrückt hieße es: „das würde uns ein Stück weit mit dem Leben in Berührung bringen“).

 

Technisches

  1. Falsches Licht
    Die meisten Kanzeln oder Predigtorte sind schlecht ausgeleuchtet. Entweder Du stehst im Gegenlicht, oder die Leselampe lässt Dich erscheinen wie ein Gespenst, weil sie Dich indirekt von unten anleuchtet. Oder Dein Scheitel glänzt.
    Aber ich will Dein Gesicht sehen. Auch bei der Liturgie. Also braucht Dein ‚Auftritt’ eine Lichtprobe mit konkreten Konsequenzen für die Beleuchtung.
    Das kostet etwas Geld.
  2. Mikrophonanlage
    Viele kirchliche Lautsprecheranlagen sind falsch eingestellt – zu viele Bässe oder Höhen. Sprechen mehrere KollegInnen am gleichen Ort, sollten sie sich jeweils abhören und an der Anlage einstellen lassen.
    Eine gute Verstärkeranlage kostet etwas. Viele Kirchengemeinden sparen hier am falschen Ort.

Kabelfreie Mikros sind besser als Standmikros, weil Du freier sprechen kannst und           nicht so fixiert auf einen Punkt wie beim Stand-Mikro.

  1. Blocksatz-Text verdirbt den Überblick
    Wenn Du das ausformulierte Konzept im Blocksatz druckst, sieht es schick aus, aber Dein Auge kann sich beim Vortrag nicht orientieren. Du sollst keinen Essay drucken lassen, sondern aus einem Manuskript heraus zu Leuten sprechen. Du kannst beim Blocksatz oder bei kleiner Schrift kaum aufblicken ohne die Zeile zu verlieren. Schaff lieber Sinnabschnitte im Manuskript, die sich voneinander auf einen Blick unterscheiden lassen. Setz große Überschriften darüber.  Je grafischer Deine Konzept-Struktur, desto freier kannst Du – selbst beim Ablesen – sprechen.

 

Die Klarheit der Inhalte

  1. Ein wahrer Gedanke reicht.
    Warte in der Vorbereitung darauf, dass sich Dir ein Gedanke erschließt, der Dich selbst ergreift. Den kleide ein in Vor- und Nachrede, Geschichten, Für und Wider  und lass es damit gut sein. Ein andermal hast Du Zeit weiteres zu sagen.
  2. Keine Grusel-Kataloge
    Alles, was Angst macht, zählt nach Ermittlungen der Neurowissenschaften fünffach im Empfangenden gegenüber einer guten Nachricht. Also eine Reihung in der Predigt wie „ermordete Kinder, vergewaltigte Frauen, syrische Folterkammern, gutverdienende Schlepper, grausame Grenzsoldaten …“ (Zitat aus einer Predigt) ist und bleibt eine Zumutung für eine ohnehin sensible Gemeinde.
    Diese Gruselkataloge sind leider sehr beliebt. Sie suggerieren, die Amtsperson habe sich mit dem Leid der Welt befasst. Ich bin vielleicht 79 und habe nach dem Krieg zwischen den Ratten Futter für meine Kinder gesucht. Was kannst Du mir mit Deinen Katalogen noch sagen?
    Und ja, ich bin betroffen, aber was machst Du in dem Zustand mit mir?  Überleg Dir, wie viel Unheil Du zusätzlich zu den Nachrichten wirklich in Dein und mein Evangelium holen willst. Kannst Du wirklich mit guten Bildern und Gegen-Gift auffangen, was Du auslöst bei mir?
  3. Innerer Film
    Wenn du einen Verlauf erzählst, sieh die Bilder selbst. Lass Dir und mir dafür Zeit (und sprich möglichst frei). Lass Dir und mir Pausen für den inneren Film (nicht mitten im Satz, sondern nach Abschnitten). Solch eine Pause dauert etwa 2-3 Sekunden. Das ist für die Hörenden wenig, in Deinem Empfinden vermutlich sehr viel Zeit. Aber lass Dich nicht hetzen, gib mir Zeit zum Mitschwingen, dann wirst Du von mir mit meiner spürbaren inneren Resonanz belohnt. Die ähnelt dem Hall in der Kirche, der gibt Dir etwas zurück. Wenn Du das nicht zulässt, gehst Du leer aus –  und ich auch.
    Du kannst auch das Tempo wechseln, also schneller oder langsamer werden, wenn es spannend wird oder die Pointe nah ist.
  4. Bilder, Gags und Gegenstände am Anfang
    Wenn Du zu Beginn ein Beispiel oder ein Bild verwendest, dann nimm es ernst und komm darauf zurück. Ich gehe mit Dir und deinem Bild – wenn es schlüssig ist. Es enthält das meiste, was Du brauchst für die Wahrheit – wenn nicht, ist es zu flach gewählt.ZB: Jemand hält ein Handy hoch und will am Sonntag Rogate vom Beten reden. Das ist zunächst ein netter Gag, etwas angestaubt vielleicht, aber freundlich. Nur: was soll das theologisch werden? Welcherart Kommunikation mit Gott soll hier angedeutet werden? Taugt nach 10 Minuten Rede dies Telefon noch als griffiges Symbol für Gebet? Wenn nicht, lass das handy weg. Es ist Schnickschnack, wenn Du damit nichts weiter anfängst und führt mich unnötig lange auf eine falsche Fährte. Es kann sein, dass ich zuhaus nur noch dies handy erinnere, weil es das einzig Sinnliche in der Rede war. Aber ich weiß nicht mehr ,wofür das stand. Willst Du das?
    Wenn Du es nur als Aufhänger benutzt, denke ich, Du willst mich fangen  – und am Ende kommt doch nur wieder Zigarettenreklame oder das Jesulein. Jedes Symbol, jeder Gegenstand, jede Geschichte am Anfang wird viel deutlicher erinnert als alles andere. Bring Dich also nicht durch aufmerksamkeits-heischende, aber irrelevante Anfänge um meine Resonanz. Fang lieber nüchtern an, wenn Du keinen zündenden Einfall hast.
    Zu Beginn jeder Predigt liegt die Aufmerksamkeits-Quote im Raum bei 90-100%, Du musst das nicht durch Gags steigern. Spar Dir das lieber auf für den Mittelteil, wo ich anfange zu dösen.
  5. Ermutige’ mich zu nichts.
    Viele verwenden am Schluss der Predigt dies Modewort. Früher hieß es: ‚Sollten wir nicht alle mehr …?’, und dann folgte ein Löffelchen dünne Moral. Jetzt sagt man: ‚Ich ermutige Sie, …’. Das ist das gleiche Löffelchen. Lass es einfach weg, niemand wird es vermissen.
    Die Wirkung Deiner Rede war bis hierher stark, dann ist es gut damit – oder sie war nicht stark, aber dann wird sie nicht besser durch einen Schluss-Appell.
    Ich werde mutig, wenn Du mutig stehst und redest. Deine Sicht hat Kraft genug, verlass Dich drauf. So hilfst Du, dass sich im Raum spürbar einstellt, wovon Du sprichst.
  6. Index für abgegessene Redeweisen
    Es gibt eine Reihe von Sprüchen, die nur bei kirchlichen Leuten zu hören sind, dort aber in einer Häufung, dass es manchmal wehtut. z.B.:
  • immer wieder neu (was man beschwört, weist immer auf einen Mangel des Beschworenen hin: z.B. die Aufschrift ‚ofenfrisch’ bei Aufback-Brötchen in der Plastikfolie.)
  • ich möchte Sie einladen (vielleicht sagst Du gleich, was Du willst – das wirkt auf den ersten Blick etwas ruppiger, aber auf Dauer klarer und barmherziger als dieser kirchliche Weichspüler.)
  • Gott/Jesus lädt uns ein/will uns Mut machen (Gott als milder Sozialpädagoge)
  • ein Stück weit (völlig entbehrliche Verlegenheits-Minimierung)
  • ganz persönlich (Beschwörung)
  • wir wollen (Vereinnahmung –  besser ‚lasst uns’, zb als Gebetsaufforderung)
  • mit allen Sinnen (Beschwörung in der Wort-, Sitz- und Kopf-Kirche)
  • Sollten wir nicht…  … auch, … lieber, … alle (Vereinnahmung, Suggestion, Moral)
  • lebendig (Beschwörung)
  • lebendiges Leben (doppelt hält besser?)
  • dabei ist mir  … eingefallen (besser gleich sagen, was einem eingefallen ist)
  • zutiefst (Beschwörung)
  • als ich den Predigttext das erste Mal sah, fiel mir gar nichts ein dazu …(Krankmeldung, besonders am Anfang der Predigt beliebt. Stell Dir  vor, Dein Arzt sagt: ‚als ich Ihre Krankenakte las, fiel mir gar nichts mehr ein.’ Sowas nennt man unprofessionell.).
  • wir dürfen gewiss sein, wir dürfen uns Gott anvertrauen (Weichspüler)
  • Auch Jesus (Paulus, Gott, der bürgernahe Polizist) weiß um unsere Schwächen
  • gleichsam (sehr altbacken und sehr beliebt)
  • Wiederholung als Schwächung: „Jesus rettet uns, er will uns erlösen, er will uns heilen.“ –
    warum nicht einfach?: „Jesus erlöst uns.“ – und Pause für den Nachhall.
  1. Mehr An-Deuten als Ausdeuten
    Was sich von Gott sagen läßt, ist und bleibt uns allen entzogen. Geistes Gegenwart ist in Symbolen und symbolischen Worten im umschreibenden Modus zu haben, nie direkt. Die universitäre Theologie hat uns den Glauben erklärlicher gemacht, aber wenn Du hauptsächlich erläuterst, wird Glaube zu plausibel. Deine An-Deutungen sind oft wirksamer als Erklärungen und Behauptungen, weil sie meine Fantasie mitinszenieren. Du kannst Türen öffnen, damit ich hindurchgehe. Du darfst etwas vermuten – ich prüfe es selbst. Du darfst offen lassen, wie es wirkt, was Du sagst – was mir davon einleuchtet, wird mir den Weg weisen. Wir werden gemeinsam finden, was gut ist. Verlass Dich darauf.Ein methodisches Beispiel dazu: Mut zur Collage
    Du musst nicht alle Motive Deiner Predigt logisch aneinanderfügen. Du kannst Geschichten und Gedanken ineinander verschränken, bis sie in meinem Kopf selbst anfangen miteinander reden. Jede Bach-Kantate verwendet diese Collage-Technik. Die dramaturgische Homiletik (Nicol, Deeg) macht daraus ein System, das man lernen kann.
    Textprobe (im Ernstfall ohne jede Erklärung vorzulesen):
    (Bibel) Jesus aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du sorgst und mühst dich. Eins aber ist nötig …

(Rilke) … Gast sein einmal.

Nicht immer selbst seine Wünsche bewirten mit kärglicher Kost.

Nicht immer feindlich nach allem fassen –

einmal sich alles gefallen lassen und wissen: Was geschieht, ist gut.“

 

Deine Haltung ist Deine Wirkung

  1. Alles Gute ist schon da
    Geh davon aus, dass ich Dir mit meinem Sinnen entgegenkomme. Du musst mich nirgendwo hinzerren. Du musst mich nicht überwältigen mit Beweisen. Die westliche Kultur will tendenziell in ihren Taten und Gedanken bekehren, überzeugen, oft auch überwältigen. Die meisten Schulbildungen und Eroberungen verlaufen so.
    Du musst meine empfangsbereiten Nerven nicht entern.
  2. Gesteh Dir zu manchmal armselig zu sein.
    Uns fällt nicht immer Großartiges ein. Unsere Halbherzigkeit wird umgeben von der anderen, der großen Gegenwart. Verlass Dich darauf – es ist versprochen. Du selbst hast bei anderen schon erlebt, wie aus halben Sachen unvermutet ganze wurden. Alle, die Dir zuhören, bringen ihre Erfahrung und ihren Geist ein. Sie ergänzen, was Dir fehlt – verlass Dich darauf.
  3. Öffentlich glauben
    Wenn Du etwas glaubst, sag es immer mal wieder. Viele Kolleginnen und Kollegen sprechen nicht gern über ihren eigenen Glauben. Aber ich möchte Dir dabei zusehen dürfen. Jetzt. Das bedingt, dass Du Dir klar bist über das, was Du selbst glaubst – neben oder unterhalb der richtigen Formeln, die Du beruflich vertreten musst.
    Es kann sein, dass Dich Dein Glaube in einem wahren Moment über das hinaus sprechen lässt, was Du selbst weißt. Schließ das nicht aus durch falsche Redlichkeit. Auch das ist authentisch. Christen leben davon, dass sie den Mund zu voll nehmen – aus gutem Grund. Du sollst nur wissen, dass ich Dir eher beim öffentlichen Glauben zuhöre als beim Erklären dessen, was man glauben kann.
  4. Öffentlich lieben
    Wenn Du etwas liebst (Hölderlin, Radfahren, Rumhängen oder Jesaja), zeig es mir. Ich werde vielleicht nicht lieben, was Du liebst, aber durch Deine Liebe werde ich froh. Sie zeigt mir, dass es sich lohnt etwas zu lieben.
  5. Deine Probleme beim ersten Lesen des Predigttextes
    … interessieren mich nicht. Fang an und sprich von dem, was kräftig ist. Das kann ja auch Dein Widerstand gegen die Bibel sein. Meinetwegen starte sofort mit Deinem Ärger, sprich mit Amos per mail oder direkt und sags ihm, was Dich nervt. Also mach eine griffige Form aus Deiner Not.
  6. Den Gedanken frisch greifen
    Wenn Du erklärst, fasse den Gedanken innerlich so, als wär’s das erste Mal. Tu das auch dann, wenn er schon fertig in Deinem Konzept steht. Nur dein jetziges Begreifen inspiriert mein jetziges  Begreifen.
    Was Du gestern dachtest und jetzt nur abliest, wirkt wie ein Zitat und perlt eher an mir ab. Indem Du wach den Gedanken greifst, machst mich mit Dir gleichzeitig. Denn Denken ist ansteckend wie Gähnen.
    Deine Präsenz im Moment des Sprechens ist in sich ein kleines Zeugnis. Ich verstehe: Aha, es lohnt sich ganz bei der Sache zu sein. Das hält Dich und mich frisch.
  7. Denkpausen
    sind interessant, wenn Du wirklich denkst. Ich erlebe dann mit, wie etwas geboren wird. Beteilige mich, indem Du schweigst, denkst und um Dein Wort ringst. Das ist schön. Nicht zu oft, aber immer mal wieder. Denk nicht, es sei Schande, wenn Du dafür innehältst. Deine Eloquenz kann mich beeindrucken, aber auch bedrücken. In Dein öffentliches, vielleicht manchmal tastendes Denken hinein kann ich mich entfalten.
  8. Deine Unvollkommenheit ist auch Dein Charisma
    Wenn Du auf die Kanzel gehst, bleibst Du fehlbar, klug, banal und charmant. Manche stehen da vorn und oben wie unter einer Käseglocke aus Ansprüchen. Viele müssen auf der Kanzel ihr ganzes Studium rechtfertigen, den exegetischen Aufwand, die Exaktheit der Sprache. Andere wollen es dem Vater recht machen. Das Kreuz muss auf jeden Fall vorkommen. Die Beine stehen stramm. Der abgesicherte Modus deutscher theologischer Vorlesungen weht mich an. Alles ist maßlos richtig.
    Bitte sei doch wieder pointiert, sprich auf Lücke, schau mich an. Ich brauche Dein Wagnis, Deine Einseitigkeit. Und ich freue mich, wenn Du ein anderes Mal die andere Seite betonst. Ich komme wieder.
  9. Rolle und Person
    Wenn Du predigst, nimmst Du eine Rolle ein. Du gebärdest Dich als eine, die zeitweilig in Resonanz zum Himmel gerät. Dabei schwingt Deine ganze Person mit – persönlich und amtlich, unvermischt und ungetrennt. Aber es bleibt eine Rolle. Auch persönliche Regungen erscheinen als Motiv – im Gewand der Rolle. Die schützt Dich und mich vor Deiner Privatheit. In dieser Rolle kannst Du persönlich sprechen. Du kannst zb sagen: „Manche sagen, Gott habe den Menschen bestraft. Das glaube ich nicht!“ Dann bist Du in der Rolle eine Person und sichtbar. Daran kann ich meine Person und Haltung entwickeln, das tut mir gut. Aber dann sag auch ‚ich‘ und kleide persönliche Ansichten nicht in Amtsbehauptungen, zb „Die Kirche sagt: Gott straft keine Menschen.“ Denn erstens stimmt das nicht, und zweitens versteckst Du Dich. Zeig Dich immer wieder. Das macht mich stark.

Kontakt und Resonanz beim Predigen

  1. Menschen ansehen
    Wenn du Menschen ansiehst beim Reden, fühlen sie sich angesehen. Wenn nicht, dann nicht. Das ist eigentlich ganz einfach, aber in der Praxis ist die Kanzel vielleicht zu hoch oder zu weit weg. Du siehst die Augen in den ersten 4 Reihen – wenn da jemand sitzt. Dahinter wird es schummerig.
    Du möchtest Deinen präzisen Essay 1:1 herüberbringen und hängst am Blatt. So entsteht keine Resonanz zwischen uns, und Du bringst am Ende aufgeschriebenen Text durch. Predigt ist keine Vorlesung.
    Man kann den Ort wechseln. Man kann z.B. Menschen bitten, ausschließlich für die Predigt weiter nach vorn zu kommen. Du hast Deine Rede so verfasst, dass sie Lücken für Blickkontakt und freie Erzählung ermöglicht.
    Nicht alle Menschen wollen Dich ansehen bei der Predigt, sie möchten träumen. Das ist normal. Aber es rechtfertigt keine Vorlesung. Wir führen zu viele Selbstgespräche in der Predigt.
  2. Rede adressieren
    Rede zuhause deinen Predigtentwurf innerlich zu einem echten Menschen, egal, ob er da ist oder nicht. Stell ihn Dir vor, und spüre, wie er Dir zuhört.
    Viele Predigten haben keine konkrete Adresse – und erzeugen daher auch abwesende HörerInnen. Ein Gesicht, das Du gern hast und in das Du hineinsprichst, entlockt Dir andere Wörter und Gesten als kein Gesicht.Im Gottesdienst such Dir Leute, die Du magst und sprich sie an.
    Wenn Du noch neu bist im Geschäft, dann setzt Dir die ersten Male einen befreundeten Menschen in die 3. Reihe, der Dich anlächelt und Dir unentwegt gewogen ist. Da ist Dein Anker.
  3. Andere Welten einladen statt sie nur zu zitieren
    Wenn Du von der sog. Wirklichkeit erzählen möchtest, dann sprich real  mit der Welt, die Du meinst. Wir Pastorinnen und Pastoren bringen so viele Beispiele aus unserem Leben, dass sich manche sich fragen, wann wir das alles erlebt haben wollen.
    Wenn Du zB davon reden willst, wie Arbeitsbedingungen den Menschen prägen, dann frag die Kassiererin. Lad sie, einen Lieferwagenfahrer und einen Arbeits-Optimierer in Deinen Gottesdienst ein. Sie sollen sagen, was sie erleben. Du hast vorher mit ihnen zusammen das Themenfeld erörtert und sprichst das Deine aus geistlicher Sicht dazu.
    So lernt Deine Kirche etwas über das Leben und das Leben etwas über die Kirche. Du zeigst, dass man nicht alles wissen kann und dass sich Deine Kirche für die Belange der Leute interessiert. Das ist besser als allgemeine Bemerkungen über ‚die Kräfte in Politik und Gesellschaft’. Ich spüre, ob Du die Realitäten wirklich kennst, die Du zitierst. Also paß auf, sonst blamierst Du Dich.
  4. Warum redest Du eigentlich regelmäßig?
    Ich frage mich und Dich etwas naiv und unschlüssig: Warum sprichst mit so viel Aufwand in Serie im Gottesdienst zu Menschen? Weil das so Sitte ist? Weil es einen Zirkel aus latenter Erwartung und halbgenauer Befriedigung dieser Erwartung gibt? Weil Du dort und hauptsächlich dort anwenden kannst, was Du im Studium gelernt hast? Weil Deine Kirche das anordnet? Was würde (Dir) real fehlen, wenn es das nicht so regelmäßig gäbe? Wäre Dein Beruf noch legitimiert?
    Ich frage das so, weil ich einen zum Teil ermüdenden Verschleiß neben der Freude  erlebe. Der entsteht nach meiner Beobachtung auch –  neben der Überforderung durch das Amt – durch die Unterforderung von Predigenden, die nicht loswerden, was sie wissen. Daneben aber oft ein Überdruck an Erwartung, die Predigt müsse es richten – das mehr bei Agierenden als bei Hörenden. Was oder wen soll sie retten? Dich? Manche fragen sich, wer eigentlich eine differenzierte Predigt braucht.

    Deshalb frage ich nach: Was treibt Dich (noch) dazu? Damit sich Dir die Quelle auftut, die Dich wirklich über lange Zeit und in spröden Verhältnissen speist.
    Hättest Du kleine Visionen, wo es sich auch noch lohnte geistlich zu sprechen? Wo Du das sagen kannst, was Du noch weißt.
    Vielleicht müssen wir uns hier und da einrichten darauf, dass nicht mehr überall die Schar der Einverstandenen sonntags auftaucht und hören will, was wir sagen sollen oder wollen. Haben wir dann andere Abnehmer für das, was wir lieben? Hast Du genug Zeit, solche anderen Leute aufzutun und Dir eine Sprache zu bilden, die mit denen trägt? Betäubt das Gesetz der seriellen Predigt vielleicht die Akteure? Auch deswegen die Frage.

 

Dein Körper spricht mit.

  1. Steh immer wieder auf beiden Beinen.

Hüftbreit. Besonders am Anfang. Dann auch unterwegs. Das ist ein kleines                             geheimes Stabilitätsprogramm, das keiner sieht, das aber wirkt. Es reguliert                         Deinen Atem, es gründet Dich und  lässt Dich und uns durchatmen. (Achte einmal               darauf, was mit Deinem Atem geschieht, wenn Du beide Füße eng aneinander                     stellst. Und was, wenn Du anschließend die Füße hüftbreit stehend öffnest.)

  1. Dein Kreislauf braucht Dich
    Am Sonntagmorgen ist Dein Kreislauf vermutlich eher untertourig. Viele Reden atmen eine niedrige Körperspannung und viel unnötiges Adrenalin. Bring Dich auf Deine Weise in eine gute Balance: 5-10 Minuten gleichmäßiger körperlicher Anstrengung (Gehen, Hüpfen) pegeln Adrenalin und Blutdruck auf ein aufführungsfähiges Mass.
  2. Was tun die Hände?
    Stütz Dich nicht zu lange am Pult ab, steh immer wieder frei. Denk Dir ja keine Gesten aus, das wirkt immer albern. Halt sie auch nicht fest. Lass sie tun, was sie wollen, sie haben immer Recht.
  3. Werde laut und leise
    Wenn Du nachdrücklich sein willst oder spannend, so werde gern laut oder leise. Wir pflegen auf deutschen Kanzeln die gepflegte Mittellage des Erklär- und Ermahnungstons. Manches ist überraschend eingängig, wenn es wiederholt und laut kommt (‚Yes, we can!’).
  4. By heart
    Lern hin und wieder mal den Predigttext auswendig, wenn Du ihn magst. Gern auch ein Stück Poesie oder Prosa dazu. Oder gelungenes Eigenes. Sprich das immer wieder laut, damit Deine Nervenbahnen sich den Klang einprägen. So lernst Du in der Sprache zu wohnen, die Du liebst. So lernt Dein Körper mitzusprechen – er ist das stärkste Gedächtnis der Welt. Wenn er sich mit erinnern darf, dann musst Du die präzisen Wendungen, die Dir wichtig sind nicht ablesen.

 

Freie Rede in der Predigt

  1. Anfang mit Verläufen
    Wenn Du frei reden willst, nimm Dir nicht zu viel auf einmal vor. Sprich zunächst die Passagen frei, die Verläufe (zb Geschichten) erzählen. Das kannst Du, denn Du hast es im Kindergarten und im Altenheim längst getan. Von da aus gewinnst Du Gelände, indem Du einen Anschlussgedanken auch noch frei sprichst. Sieh Bilder oder einen Film und sprich einfach mit, was Du siehst. Das ist leicht.
    Dann wieder das Konzept verwenden.
    Viele trauen sich nicht, auch auf der Kanzel so frei zu reden wie bei den Kindern – wegen der ‚Käseglocke’ (s.o.). Vergiss für 10 min Deinen Über-Ich-Mafioso. Länger schaffst Du es nicht, aber das reicht um ihn zu überlisten, SPRING!, denn dann erzählst Du schon, wenn es wiederkommt und kannst sagen, „stör mich jetzt nicht, du kannst mich hinterher schimpfen“.
    Das schöne Leben geht überraschenderweise sogar auf deutschen  Kanzeln, yes we can!
    Ein andermal kannst Du wieder sprachlich geschliffen vortragen.
    Wenn irgendjemand das braucht.
  2. Karten legen
    Wenn Du noch mehr frei sprechen willst, bereite die Predigt laut sprechend vor – am besten anfangs mit einem Freund zusammen, dem Du vorträgst. Verwende Karten mit dicken Überschriften für die Schritte, die Du mit uns gehen willst. Dein Freund protokolliert nur die Überschriften. Eine Karte pro Sinneinheit, nicht pro Satz. Wähle eine knappe Überschrift für das, was Du sagen willst. Leg sie Dir nacheinander auf dem Boden aus, damit Du Überblick gewinnst, geh Schritt für Schritt an den Karten entlang und rede laut.
    Dein Coach hilft Dir in der Spur zu bleiben, weist Dich auf Wiederholungen und Abschweifungen hin. Geh nicht zurück, sondern immer weiter in den nächsten Gedanken. Korrigieren kannst Du später. Nach dem ersten Auslegen der Karten schaust Du alles an und schmeißt raus, was doch nicht dazugehört.Dann gehst Du wieder an allen Karten auf dem Boden Schritt für Schritt entlang und sprichst Deine Predigt laut. 2-3 fette rote Punkte vergibst Du an Deine wichtigsten Karten. Dann weißt Du, wo die Höhepunkte liegen. Und wo und wie das Ende. So prägen sich Dir Struktur und Inhalt gleichzeitig ein, indem Dein Ohr und Dein Körper es speichern.
    Das ist ein grundsätzlich anderer Vorgang als die Schreibarbeit am PC. In der Regel fällt Dir auch inhaltlich Anderes ein, wenn Du sprechend statt schreibend entwirfst.
  3. Plan B bei Stromausfall
    Wer frei spricht in der Predigt, fürchtet sich manchmal vor ’schwarzen Löchern‘: ‚Ich weiß nicht weiter.’. Das passiert fast nie, aber die Furcht wirkt blockierend. Für den Fall des Black-Outs hast Du einen Plan B. Du lässt eine Strophe singen, die Orgel spielen oder Du hast eine Lieblingsgeschichte parat. Du weißt selbst am besten, welcher Plan B Dir Luft verschafft. Die Rufbereitschaft eines Ausweges wirkt allein schon beruhigend.
  4. Altes neu und frei würzen
    Wenn Du eine Predigt aus dem Internet ziehst oder sonst woher übernimmst, dann sprich eine Passage daraus frei. Das zwingt Dich, an mindestens einer Stelle selbstbestimmt zu reden und gibt dem ganzen Vortrag eine frischere Note.
  5. Sei so genau wie nötig, nicht wie möglich
    Das lernt man von Handwerkern. Wenn sie alles supergenau bauen wollten – es gäbe kein fertiges Haus. Religiöse Praxis ist auch Handwerk. Wenn Du wirklich mit mir redest, wirst Du merken, wie wenig Wahrheit ausreicht – verlass Dich darauf. Ich werde nicht satt von Deiner wasserdichten Klugheit, sondern von Deiner zugewandten Teil-Erkenntnis. Ich komme wieder! Dann kannst du den nächsten Aspekt der Sache sagen. Wir haben ja noch viele Wochen vor uns.
  6. Schreiben und Reden weiter lernen
    Viele Pastores sind begabt mit den Wörtern und haben Lust aufs Formulieren, Fabulieren, haben Freude an der eigenen Wirkung. Das ist ein echtes Talent in unserem Fach. Aber die erste Ausbildung an der Uni erzieht nicht zur Rede, sondern bestenfalls zum Verstehen. Das Vikariat kann das nicht ersetzen. Da kriegt man meist nur ein paar Impulse. Viel mehr als das verdaut man in dieser heißen Phase eh nicht.
    Also geh bald in Fortbildungen, die Dir kreatives Schreiben zeigen, die Deine mündliche Rede schleifen, lass Dich von der Form her auf ganz neue Inhalte bringen. Gib dem Affen Zucker! Sei eitel im guten Sinn.
    Freu Dich an Deinen Texten, aber lerne auch Handwerk, denn von selbst gut schreiben und reden können nach dem Vikariat nur wenige.  Das merkst Du, wenn ein Schriftsteller oder Slammer Dir die Methoden zeigt, die Du alle nicht kennst.
    Die Predigt-Stile fächern sich stark aus. Es ist fast alles erlaubt inzwischen. Nutz das bitte zu Deiner und meiner Zufriedenheit. Der Trott kommt von selbst. Das Theologische Zentrum Braunschweig, Atelier Sprache  zb bietet sowas an. Aber auch andere Landeskirchen.
  7. Auf Fragen reagieren
    Wenn Du Dich sicher fühlst im Bereich Predigt und wenn Du neuen Kitzel willst, dann lässt Du Dich von der Gemeinde befragen.
    Du hast den Gottesdienst angekündigt. Du hast sowas im Altenkreis und mit Kindern, dann auch mit anspruchsvolleren Fragern ausprobiert in Gruppen. Du hast ein geistliches Thema gewählt, es anmoderiert – evtl. anhand eines Textes. Du hast eine freche These gemacht dazu.
    Nun fragen die Leute, und Du musst antworten. Das macht total Spaß. Wenn Du gelegentlich Experimente magst und ein bisschen improvisationsfreudig bist.Wenn Du Dich allein nicht traust, nimmst Du ein bis zwei Leute dazu, die auch antworten, so gewinnst Du Pausen. Ihr könnt das auch als witzige Form zu einem „Wahrheits-Orakel“ deklarieren: Wir wissen Bescheid und geben freche Antworten. Humor bei der Predigt?? Darf man das? – fragt Dein Mafioso. Na gut, dann eben im Karneval 😉

    Du kannst bei gehemmten Leuten auch Karten ausgeben, auf die sie in einer ruhigen Phase die Fragen schreiben. Dann hast Du Zeit und kannst  ein wenig auswählen, was Dir schmeckt.
    Aber direkt mündlich ist direkter.

    Beim allerersten Mal bittest Du zwei bis drei Leute mit dem Fragen zu beginnen. Die Fragen kennst Du nicht. Oder nur die erste Frage ist vielleicht abgesprochen, damit es Dich nicht gleich aus den Schuhen haut.
    Du wirst staunen, was Du weißt, von dem Du nicht wußtest, dass Du es weißt.
    Und Du gewinnst dadurch eine enorme Sicherheit im freien Sprechen. Die verlierst Du nie wieder.

  8. Sprich mit Leuten außerhalb der Kirche
    Klassische Predigt ist konzipiert für Eingeborene, also für Leute, die schon einverstanden sind mit Deiner Botschaft. Im Grunde hast Du leichtes Spiel.
    Bei Kasualien und in der Kneipe merkst Du, was es heißt, mit Menschen geistlich zu reden, die Deine Sprache und Deine Sache nicht kennen.
    Du kannst dort nichts voraussetzen.  Du brauchst also eine Sprache, die sich mit denen versteht. Die wenigsten von uns haben das gelernt.Da wirft sich die kanaanäische Frau in den Weg. „Gib mir auch!“ sagt sie.
    Wenn Du so (arrogant) wie Jesus reagierst, verschenkst Du eine ganze Welt.
    Die Konfession der Konfessionslosen nimmt zu. Sie benimmt sich manchmal ungeschickt, weil sie Dich immer auch ein wenig fürchtet: Wirst Du sie wie Pfarrer früher von der Kanzel aus zu Weihnachten beschimpfen, weil sie nicht zur Kirche kommen? Alte Ängste.
    Du wirst Dich mit ihnen verständigen müssen, auch ohne Dein Theo-Vokabular  – oder Dein Club wird zur Sekte.

    Das trainiert Deine Gedanken und Deine Sprache. Wenn Du mit denen reden lernst, hast Du dort und zuhause eine ganze andere Reichweite. Das macht erst Angst. Aber sprich mit mir beim Besuch der Konfi-Eltern oder vor einer Bestattung und lass Dich dafür beraten. Erklär mir, was Du glaubst und warum, und finde bitte heraus, wie ich Dich verstehen kann. Ich bin bereiter als Du denkst.
    Jesus hat sich auch bekehren lassen von der Frau und war erstaunt über ihren anderen Glauben.

 

Liturgie stützt
39.
Wenn ich normale Kirchenchristen bei meinen Gemeinde-Besuchen frage, welche dichten Momente sie aus dem Gottesdienst erinnern, so schildern sie zu 90% Szenen aus der Liturgie – eine Segensgeste, ein Erdwurf. Sie sprechen vom Klang der Trompete, vom Licht, das durch die Scheiben fällt.
10% erwähnt auch die Predigt als Ort für Dichte (- frag gern mal in Deiner Gemeinde nach).
Nimm also die Liturgie ernst, sie ist keine Umrahmung der Predigt, sie hat ein starkes Eigenleben. Sie stützt Dich und uns, wenn sie mit der gleichen Achtsamkeit geführt wird wie die Predigt. Sie kann Dein Wort entlasten und ergänzen.

 

 

 

 

 

 

3 Gedanken zu “Tipps fürs präsente Predigen

  1. Hier und da hättest du dir bei diesem Beitrag auch selber predigen dürfen. Er ist einen Tick zu lang, bietet auch einige „Gruselhaufen“ an Dont’s, die letztlich gerade ängstliche Predigende eher zusätzlich verunsichern als ermutigen.
    Du scheinst vor deinem inneren Auge den etwas zu selbstsicheren, pomadigen, altherrenhaften Prediger gesehen zu haben, der ja heutzutage auch noch viele Kanzeln dominiert.
    Aber erstens läuft dessen Zeit ab, und zweitens liest der keine Blogs.
    Trotzdem kann ich fast alles, was du schreibst unterschreiben, und ja, es geht mir auch so, dass ich durch Formulierungen wie „ein Stück weit“ mittlerweile getriggert werde.
    Also: Danke für diesen umfangreichen Beitrag, der sehr viele gute Anregungen enthält.
    Heidelbaer

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  2. Pingback: Florilegium | Pressepfarrerin

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