Palmsonntag und das Spalier der Erwartungen

Palmarum
Von Geburt an umstellen die Spaliere der Hungrigen das Neugeborene. Es soll aufholen, was die Vorfahren verpaßt haben, es soll aber – wehe! – nicht besser sein als sie. Es soll den Bann tilgen, der auf ihnen liegt, aber es soll alles so machen wie sie es wollen. Es soll Rechtsanwalt werden, natürlich. Nein, Informatiker wie ich. Nein, bloß nicht Informatiker wie ich.

Heerscharen rufen über der Krippe: ‚Fürchte dich nicht‘- Gott sei Dank. Wenn das Neugeborene mit 12 dann im Tempel auf seine wahre Abstammung und Bestimmung pocht, kriegt es in die Rippen: Was hast du uns angetan?
Und so weiter. Selbst der Satan hat ein paar schlüssige Angebote: Weltenernährer, Naturgesetzeüberwinder. Zeloten und Radikale klatschen in die Hände: Bist du der wahre Trump? Bist du der Messias? Therapeuten und Chirurgen: Bist du der mich von meiner Sippe erlöst? Bist du ein Krebs-Heiler? Kannst du was? Und kannst du es beweisen?

Endlich ein König! Ein Führer!
Der Einzug – maßlos übertrieben in der Resonanz der Auslegung. Ein paar Hanseln standen am Strassenrand am Ortseingang. Ohne Bedeutung dies Gezappel – schon damals. Immerzu tauchten irgendwelche Prediger auf in dieser Stadt. Dazu die Schar der 12 Verkrachten. Wer wollte Staat machen mit denen?

Ein Wust von Überblendungen – bis heute, die auf der Gestalt Gottes lasten – bis sie zusammenbricht und ihr wehrlosestes Gesicht zeigt.

Genau das ist die Figur, die am Ende alle Spaliere enttäuscht. Die live das erste Gebot aufführt, bis uns Hören und Sehen vergeht. Kein Bildnis, kein König, kein kirchliches Imperium, auch kein depressiver Hirte. Nein, die Projektionen kollabieren alle. Die Palmwedler wenden sich ab. Die Zweige liegen im Dreck.

So schreitet jedes Menschenkind die Spaliere seiner Zeit ab, salutiert, entspricht in braver Verbeugung den Erwartungen oder auch nicht. Je mehr es ohne Rückhalt liebt, desto mehr wird es zwischen allen Stühlen sitzen. Und freier werden, nackter, geborgen im Vorübergehen, ausgesetzt und zugleich urverbunden. Kein Halt und eben darin gehalten.

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