Er gab, was er hatte: sich

Er gab sich ganz

Wir hatten vor kurzem im Andere-Zeiten-Haus die seltene Gelegenheit, einen der Jünger Jesu zu interviewen: Kleopas. Er befand sich auf einer Art Zeit- oder Forschungsreise, unter anderem in Norddeutschland. Offenbar wollte er sehen, was aus dem geworden ist, was er seinerzeit mit Jesus erlebt hatte.

Kleopas lobt höflich die Kirchenkekse, er spricht erstaunt über die riesigen Gotteshäuser und dass sie beheizbar sind. Er ist ein schmaler Mann mit großen braunen Augen, den wir alle um Kopfeslänge überragen. Manchmal greifen seine Hände in die Luft, wenn er nach Worten sucht. Wir sprechen über unsere deutsche Kirche, das katholische und evangelische Leben. Er hört aufmerksam zu, schmunzelt gelegentlich und schweigt. Wir sind besonders interessiert an dem, was er zum Abendmahl mit Jesus damals zu sagen hat, das heißt zu dem Tag, den wir heute als Gründonnerstag feiern.

Kleopas, sag uns bitte noch, was du erlebt hast an dem Abend.

Kleopas: Ich habe ihn (Jesus, Anm. d. Red.) vorher erlebt wie einen, der schlafwandelt. Wir sollten eine Unterkunft aufsuchen, die er uns genannt hatte, und als wir den kleinen Saal für das Passahfest sahen, schien es mir, als beträten wir einen Raum … wie außerhalb dieser Welt. Äußerlich war gar nichts anders, Kissen an der Erde, der niedrige Tisch. Ich wusste plötzlich, was es so seltsam erscheinen ließ: Es würde unser letztes Mahl dort sein, und er wusste das. Und wir irgendwie auch. Aber keiner wollte was sagen.

Wie hat der Abend begonnen?

Kleopas: Ich erinnere es nicht. Ich glaube, es war alles normal. Aber ich war wie benommen. Das ging aber nicht allen so. Wir wuschen die Füße, setzten uns, tranken Wasser. Als die Gebete begannen, da war alles wie immer am Passahfest, aber es steckte was in meinen Hals.

Wir fragen uns in der Kirche oft, wie Jesus wohl diese Worte gemeint hat: „Nehmt das Brot, das ist mein Leib“ und „nehmt den Wein, das ist mein Blut.“

Kleopas: Entschuldigung, ich verstehe nicht?!

Wir fragen uns: Hat er das wörtlich gemeint? Ist das Brot sein Leib?

Kleopas: Ich kann diese Frage nicht beantworten. Er schweigt und denkt.
Ich verstehe sie nicht.

Wir feiern doch auch heute bei uns Abendmahl. Wir denken an euch damals. Wir beten, wir wiederholen die Worte, die Jesus gesagt hat. Und es gibt viel Streit darüber, was wir denn essen, wenn wir das Brot essen.

Kleopas: (Schüttelt den Kopf, schweigt.)

Was ist daran so wichtig?

(Er schweigt wieder. Zuckt mit den Achseln.)

Ich hab mich das nie gefragt. Als er das Brot brach und gab, da war klar: Er gibt alles, was er hat. So war das immer. Er hat sich nicht geschont. Es gab ja vor diesem Abend schon öfter gefährliche Streitereien mit den Priestern. Die hätten auch blutig enden können. Aber wenn man ihm zusah, wie er heilte, dann war’s, als könne er nicht anders. Wie ein Besessener oder besser: wie ein Beseelter. Und wenn er stritt, dann stritt er mit … – ja, mit allen Teilen seines Leibes, sozusagen mit der ganzen Figur. Er war immer ganz das, was er tat und dachte …

… selbstvergessen?

Kleopas (zögert): Ich kenne dies Wort nicht. Aber wenn es bedeutet, dass man nicht mehr über sich nachdenkt beim Tun, dann war es das. Als er das Brot nahm, war er dabei ganz der, der sich – ja… ganz gibt. Was sollte er sonst geben? Klar tat er das mit seinem Fleisch und Blut, womit sonst? Er hatte doch nichts anderes. Anders war es nie, das kannten wir. Deshalb sind wir geblieben, das war ja das Besondere an diesem Menschen.

(Kleines Schweigen in der Runde.)

Kannst du noch sagen, wie das war auf dem Weg nach Emmaus?

Kleopas (lacht leise):

Ja, das war schon verrückt. Wir waren alle wie taub in den Gliedern. Wenn man so etwas erlebt, diese Schmerzen, wie die Leute auf das Kreuz starren, wie sie spucken… – jemand hat sich erbrochen, als er Jesus hängen sah, neben dran haben zwei Jungs mit Steinen nach Vögeln geworfen… . Wenn man das alles erlebt hat, dann fällt man irgendwie aus der Welt.
Wir sind zu zweit gelaufen damals. Laufen half. Nicht stillsitzen. Ich weiß auch nicht, woher der Dritte kam. Er ging von dem ersten Brunnen hinter Jerusalem an mit uns. Wir haben ihm erzählt, weil er fragte. Erst wollten wir nicht, dann lief es aus uns raus. Man ist nicht bei sich in solchen Zeiten. Und dann saßen wir in diesem kleinen Gasthof in Emmaus, bei einer Witwe mit ihrem Hund und einem zahmen Raben.

(Er schweigt einen Moment.)

Da nimmt er das Brot und bricht es. Ich …

Kleopas: (Schweigt, wischt sich eine Träne weg.)

Ich kann es nicht beschreiben. In so einem Moment ist alles da. Die vielen Mahlzeiten. Das letzte Mahl. Jesus. Die Erinnerungen – nein, es sind nicht einfach Erinnerungen. Es ist alles da. Irgendwie alles. Keine Fragen mehr. Eine große, eine sehr große Stille. Ich habe verstanden. Das hat mich völlig verändert. Äußerlich nicht, ich blieb natürlich der ich war, aber innen… war ich angekommen.

Kleopas bittet um etwas Wasser, die Erinnerung hat ihn sichtlich mitgenommen. Sein Gesicht wirkt hell und seine Hände liegen ruhig in seinem Schoß.
Wir mögen nicht weiter fragen.

Das Gespräch mit Kleopas führte Thomas Hirsch-Hüffell.

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